Orthodoxe Menschenrechte

Die Russische Kirche grenzt sich von westlichen Werten ab

18. April 2006


Auf einem kirchlichen Groß-Kongress in der Moskauer Christerlöser-Kathedrale schlugen die Redner Alarm: Die liberalen Einflüsse der westlichen Welt bedrohten die kulturelle Eigenständigkeit Russlands. "Wir wurden Zeugen davon, wie mit dem Konzept der Menschenrechte Lügen und die Beleidigung religiöser und nationaler Werte gerechtfertigt werden", erklärte Metropolit Kyrill, der "Außenminister" des Moskauer Patriarchats.

Auf ungewöhnlich scharfe Weise hat sich die orthodoxe Kirche von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte distanziert. Mit einer eigenen Erklärung will sie den vermeintlich fatalen Einflüssen aus dem Westen nun entgegensteuern. "Orthodoxe Gläubige sind bereit, die Weltanschauung anderer Völker zu akzeptieren", so Kyrill. "Aber sie können nicht schweigen, wenn ihnen fremde Normen aufgezwungen werden, die den Grundlagen des orthodoxen Glaubens widersprechen."

Hintergrund der scharfen Worte ist ein langjähriger Konflikt zwischen der orthodoxen Kirche und russischen Bürgerrechtsbewegungen. Immer wieder war es in den vergangenen Jahren zum Streit gekommen, etwa in der Frage der Einführung von Religionsunterricht in staatlichen Schulen oder bei der Einstellung von Militärseelsorgern in den Streitkräften.

Metropolit Kyrill warf den Bürgerrechtlern zudem vor, zu viel Wert darauf zu legen, in Opposition zur Staatsführung zu stehen. Das Moskauer Patriarchat plant nun die Eröffnung eines eigenen kirchlichen Menschenrechtszentrums. Dieses soll ausdrücklich nicht nur zur Zusammenarbeit mit dem Staat, sondern mit "allen gutwilligen Organisationen" bereit sein.

Auch bei Themen wie der rechtlichen Gleichstellung Homosexueller, der Abtreibung oder der Euthanasie sehen Kirchenvertreter unüberwindbare Differenzen zwischen der christlichen Moral und individualistischen Menschenrechten.

"Es gibt Werte, die nicht weniger wertvoll sind als die Menschenrechte", heißt es in der auf dem Kongress in der vergangenen Woche verabschiedeten Erklärung. "Das sind Werte wie Glauben, Moral, Heiligtümer und Vaterland. Wenn diese Werte und die Durchsetzung der Menschenrechte miteinander in einen Widerspruch geraten, müssen Gesellschaft, Staat und Gesetze harmonisch beides miteinander verbinden."

Der allgemein gehaltene Text der orthodoxen Menschenrechts-Erklärung stieß außerhalb der Kirche überwiegend auf Skepsis und Zurückhaltung. "Alle Verfassungen und internationalen Verträge basieren ohnehin schon auf einem Kompromiss individueller, staatlicher und gruppenspezifischer Werte", so der Kirchenexperte Alexander Werchowski.

Bürgerrechtler warfen der orthodoxen Geistlichkeit vor, sich mit ihrer Konzeption in Dinge einzumischen, die die Kirche gar nichts angingen und mit ihrem Angriff auf die liberalen Werte in erster Linie dem Kreml einen Dienst zu erweisen.

Die russische Führung, die sich selbst im Westen permanent wegen ihrer Menschenrechtspolitik rechtfertigen muss, reagierte dagegen mit Anerkennung auf die kirchliche Initiative. Es sei an der Zeit, dass Russland die "uns aufgedrängte Vorstellung vom unfehlbaren Westen" zurückdränge, so die stellvertretende Parlamentschefin Ljubow Sliska.

Quelle: Evangelischer Pressedienst (epd)