Sport, Spaß und fairer Handel

Konfirmanden tragen im WM-Jahr ihre eigene Fußball-Meisterschaft aus

22. März 2006


Von Ann-Christin Müller (epd)

Düsseldorf (epd). "Die Torwartfrage ist geklärt, die Taktik steht - jetzt geht's mit Zuversicht und Gottvertrauen in die Endrunde." Wovon Jürgen Klinsmann und die deutsche Fußball-Nationalmannschaft noch träumen, ist für Jugendliche aus der rheinischen evangelischen Kirche bereits vor der WM Wirklichkeit: Sie treten am Samstag in Köln zur Endrunde um den "Konfi-Cup" an, den Konfirmanden-Pokal. Am Ende des Spektakels mit über tausend Spielern und Zuschauern erhält die beste von 336 Mannschaften die Trophäe aus der Hand von Präses Nikolaus Schneider, der früher selbst jahrelang aktiver Kicker war.

Auch in anderen Landeskirchen geht es in diesem Jahr rund. So sucht etwa die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern am 15. Juli schon zum fünften Mal ihren Sieger für den Konfi-Cup. Im September spielen die "Konfis" in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck um den Pokal. Eine besondere Aufgabe hat sich die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau überlegt: Jede ihrer 32 Mannschaften soll am 18. Juni ein WM-Land kreativ darstellen. Und die Sieger aus der westfälischen Kirche werden an diesem Tag in Duisburg zum "NRW-Finale" gegen den Gewinner des Rheinland-Pokals antreten.

Bei der Kirchen-Meisterschaft aus Anlass der WM geht es wie überall im Sport um Sieg und Niederlage, Spaß und Bewegung - aber letztlich noch um mehr: Den Jungen und Mädchen sollen Fairplay und fairer Handel nahe gebracht werden. Gespielt wird mit Bällen, deren Hersteller gerecht entlohnt werden. Auch im Konfirmandenunterricht ging es im Rahmen der bundesweiten Kampagne "fair play - fair life" um alternativen Handel.

"Die T-Shirts sind fair gehandelt", betonen etwa die Konfirmandinnen aus Düsseldorf-Heerdt bei der Vorausscheidung für die Endrunde. "Evangelisch in Heerdt" steht auf dem Rücken ihrer orangefarbenen Trikots. Was fair heißt, wissen sie nun ganz genau: "Das Geld geht direkt an die Leute, die die Sachen herstellen. Und keine Kinder haben daran gearbeitet", erklärt die 13-jährige Carolin. Auf einer Konfirmandenfreizeit ging die Gruppe in den örtlichen Supermärkten auf die Jagd nach fair gehandelten Produkten. Nur in wenigen waren sie erfolgreich.

In Düsseldorf-Kaiserswerth beschäftigten sich die Konfirmanden intensiv mit fair gehandelten Bällen. Sie mussten herausfinden, wer die Bälle wo und unter welchen Bedingungen herstellt. "Im Team sollten wir einen Ball aus 20 Papierwaben zusammenkleben", erläutert Lukas. Das hätten nur wenige überhaupt geschafft. "Dass ein Arbeiter im Monat so viel verdient, wie manche Konfirmanden als Taschengeld bekommen, hat einige schon zum Nachdenken gebracht", berichtet Pfarrer Daniel Kaufmann.

Die Heerdter Mannschaft konnte sich trotz aller Anstrengungen nicht als beste Mannschaft des Kirchenkreises Düsseldorf-Nord für die Endrunde am Samstag qualifizieren: Auf einen 1:0-Sieg folgten drei Niederlagen. Allerdings halfen die schnelleren Spieler den Schwächeren, so wie sie es gelernt hatten.


Der lange Weg zur Rechtfertigung des taktischen Fouls

Protestantismus und Fußball näherten sich nach 1945 nur langsam

Von Klaus Koch (epd)

Speyer (epd). Die Erzählung "Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde" von Friedrich Christian Delius ist ein literarisches Kleinod. Delius beschreibt, wie er als elfjähriger Pfarrerssohn das Endspiel der Fußball-WM 1954 in Bern und den Sieg der deutschen Mannschaft erlebte. Ganz nebenbei, aber eindringlich erfährt der Leser, wie in einem protestantischen Pfarrhaus mit dem Phänomen Fußball in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg umgegangen wurde: ablehnend, unverständig, bestenfalls gleichgültig.

Der tief im Bildungsbürgertum verwurzelte Protestantismus lehnte den Massensport ab. Nach der Nazi-Barbarei waren ihm unkontrollierbare Massen wie die Zuschauer im Stadion suspekt. In seinem umfassenden historischen Bericht über Fußball und Protestantismus erinnert der von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beauftragte WM-Pfarrer Hans-Georg Ulrichs daran, dass auf der Kirchenkonferenz im August 1945 die führenden Protestanten jedem gesellschaftlichen Eskapismus abschworen.

Darunter fiel für sie auch Massensport. Die Gefährdung wurde darin gesehen, dass der Sport "sein eigentliches Ziel, die Ertüchtigung des Leibes, aus den Augen verlieren und zum Geschäft entarten könnte", schreibt Ulrichs. Kritisiert wurde etwa, dass Menschen am heiligen Sonntag ins Stadion gehen und gar im Toto auf die Spiele wetten.

Für den Übervater der protestantischen Theologie nach dem Zweiten Weltkrieg , Karl Barth, trug Fußball zu des Menschen Verlotterung bei. Der ehemalige badische Landesbischof und EKD-Ratsvorsitzende Klaus Engelhardt berichtet, dass Barth 1954 als Professor in Basel seine Studenten vor dem Besuch der WM-Spiele in der Schweiz warnte. Am Tag nach dem deutschen Sieg über Ungarn sei er in die Vorlesung gekommen, habe demonstrativ einen ungarischen Kommilitonen umarmt, sonst aber kein Wort über das Ereignis fallen lassen.

In den 1960er Jahren gerieten Kirche und Sport im gesellschaftskritischen Diskurs zunehmend in die Defensive. Gleichzeitig entstanden die ersten Arbeitskreise Kirche und Sport. 1978 wurde in der EKD diskutiert, wegen des diktatorischen Regimes zum Boykott der Fußball-WM in Argentinien aufzurufen. Der ehemalige pfälzische Kirchenrat Udo Sopp, damals Vizepräsident des 1. FC Kaiserslautern, erinnert sich, dass die Präsidentenkonferenz der Liga zwar einen Boykott ablehnte, aber dazu riet, "keine Verbeugungen vor dem Militärregime zu machen". Auf inständiges Bitten des Deutschen Fußballbundes sah die EKD von einem Boykottaufruf ab.

In den 80ern entdeckten Intellektuelle wie Walter Jens den Fußball und outeten sich als Fans. Das Interesse am Fußball sickerte langsam ins Bildungsbürgertum ein und erreichte so den Protestantismus. Der WM-Titel 1990 für Deutschland wurde auch von der Kirche als tolle Sache empfunden. Im selben Jahr erschien die EKD-Schrift zu den ethischen Grundlagen des Sports. Zwar bezeichnete Bayern-Manager Uli Hoeneß diese Schrift als zu moralisch und weltfremd. Doch sie zeigt, dass die Kirche mittlerweile den Sport als gesellschaftliches Phänomen ernst nimmt. In Umkehrung jahrelanger Praxis zeigte 2001 sogar der Sport einem Kirchenmann die ethischen Grenzen auf.

Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Peter Steinacker, selbst Hobby-Kicker, hatte taktische Fouls gerechtfertigt. "Bevor einer ein Tor schießt, muss man ihn foulen", sagte er in der FAZ. Darauf konterte der Vorsitzende der Stiftung Deutsche Sporthilfe, Hans Wilhelm Gäb: "Die gesellschaftspolitische Bedeutung des Sports ist untrennbar mit den Idealen von Fairplay und Anstand verbunden."

Zur WM 2006 empfiehlt Pfarrer Ulrichs Kirchengemeiden Kontakt mit den örtlichen Fußballclubs aufzunehmen. Nicht zuletzt deshalb, weil Fußball und Kirche mehr gemeinsam haben, als allgemein vermutet. Beide bangen um den Sonntagsschutz, haben Nachwuchssorgen, sind auf Ehrenamtliche angewiesen und verhandeln regelmäßig über Fairness und Gerechtigkeit.


Fußball als wichtigste Religion

In Costa Rica fiebern die Menschen dem Eröffnungsspiel gegen Deutschland entgegen

Von Matthias Knecht (epd)

San José (epd). An der Wand hängt ein Porträt des Reformators Martin Luther, gegenüber sind Fußballplakate und Turnierpokale zu sehen. Für Melvin Jiménez steht fest, dass Fußball in Lateinamerika die größte Anziehungskraft besitzt. "Fußball ist die wichtigste Religion Lateinamerikas", sagt der Pfarrer und Präsident der lutherischen Kirche Costa Ricas in der Hauptstadt San José.

Wie seine vier Millionen Landsleute fiebert Jiménez dem 9. Juni entgegen, wenn sein Land zur Eröffnung der Fußball-Weltmeisterschaft gegen Deutschland antritt. Die WM-Euphorie nützt der vom Fußball begeisterte Kirchenpräsident, um sein eigenes Anliegen voran zu bringen. Fußball, sagt der Theologe und Soziologe, sei in Lateinamerika mehr als nur Sport. Dort komme ihm großes politisches Gewicht zu. Es gebe Dörfer ohne Kirchen, ohne Bürgermeister oder ohne Schule. "Es gibt aber kein Dorf, in dem nicht Fußball gespielt wird."

Auf dem ganzen Subkontinent haben Archäologen Hinweise gefunden, dass die Indios bereits 1500 vor Christus so etwas wie Fußball gespielt haben. Blutig endeten dabei die Spiele in der Volksgruppe der Azteken: Als besondere Auszeichnung galt es, dass die Siegermannschaft den Göttern geopfert wurde.

Den modernen Fußball brachten im 19. Jahrhundert die Engländer nach Lateinamerika. Bestehende soziale, kulturelle und religiöse Rituale wurden teilweise übernommen. Wie im heutigen Lateinamerika Fußball und Zivilgesellschaft verschmelzen, illustriert Jiménez an seinem eigenen Club aus Moravia, einem Vorort San Josés.

Das Vereinszentrum ist Tanz- und Konferenzsaal sowie Treffpunkt für politische Diskussionen. Überall in Costa Rica gehört eine Frauenmannschaft ebenso zum Verein wie eine Männermannschaft. "Der Fußball bewegt viel in den Gemeinden", sagt Jiménez.

Für die Mehrzahl der Menschen sei Fußball mehr als ein Geschäft, an den finanziellen Möglichkeiten des Sports sei nur die wirtschaftliche Elite interessiert. Dieser Konflikt spiegelt sich laut Jiménez auch in den beiden wichtigsten Mannschaften Costa Ricas wieder, Alajuela und Saprissa. Beide stellen einen großen Teil der Nationalelf.

Die Mentalität der beiden Spitzenvereine könnte unterschiedlicher nicht sein. Saprissa gehört dem mexikanischen Magnaten Jorge Vergara und wird von ihm vermarktet wie jedes andere Produkt seines Konzerns Omnilife auch. Alajuela hingegen "ist ein Club, der seine Spieler dafür sensibilisiert, dass sie eine soziale Verantwortung haben", erklärt Jiménez. So ermuntert die Clubleitung ihre Starspieler zu karitativem Engagement. Sie sollen Vorbild sein, gegen Gewalt eintreten und für die Aids-Prävention werben.

Beim Weltfußballverband FIFA sieht Jiménez erst zögerliche Ansätze zu mehr sozialer Verantwortung. Als Beispiel nennt er die Kampagne gegen die Kinderarbeit, die die FIFA gemeinsam mit dem UN-Kinderhilfswerk Unicef organisiert. Dies sei aber nicht ausreichend, sagt der Pfarrer.

Die Freude am Fußball lässt sich Jiménez dadurch nicht verderben. Für die WM-Eröffnung am 9. Juni erwartet er "ein schönes Spiel, denn im Gegensatz zum Gastgeber können wir unbeschwert aufspielen". Ein Unentschieden wäre für ihn "ein riesiger Erfolg".