Szenen einer Niederlage

Erfolg um jeden Preis?

28. Februar 2006


Es war ein spannender Wettkampf. Die Sportlerinnen kämpften bis zur letzten Sekunde um den Sieg. Die Ersten lagen nur ein Wimpernschlag voneinander entfernt. Die Entscheidung fiel ganz zum Schluss.

Auf dem Weg zurück ins Olympische Dorf sitzt Olympiapfarrer Weber im Shuttle-Bus, den die Athletinnen und Betreuer benutzen. Neben ihm nimmt die Sportlerin Platz, die kurz zuvor haarscharf die Bronze-Medaille verpasst hat und ihr Trainer. Tief sitzt die Enttäuschung der beiden, das kann man ihren Gesichtern ansehen. Die Sportlerin versucht, sich zu trösten.

Sie: " Es war so knapp, sonst hätte ich auch auf dem Treppchen gestanden.“

Er: "Du bist nur Vierte geworden!"

Sie: "Ist der 4. Platz denn nicht gut?“

Er: "Meinst du, uns Trainern macht es Spaß, mit jemanden zusammenzuarbeiten, der sich mit dem 15. Platz zufrieden gibt?“

Sie: “Uns wird schon als Kindern eingetrichtert: Du musst Gold gewinnen! Selbst Silber zählt schon nichts mehr. Wer nicht ganz oben steht, gilt als Versager."

Der Trainer würdigt sie keines Blickes. Er sagt nichts mehr. Der Bus ist angekommen. Die beiden steigen aus. Sie schleicht davon wie ein geprügelter Hund, den Tränen nahe.

Diese Szene, die sich soeben im Bus abgespielt hat, beschäftigt Olympiapfarrer Thomas Weber noch eine ganze Weile. Er versucht, die Position des Trainers nachzuvollziehen: "Klar, die Trainer stehen unter enormen Erfolgsdruck. Oft besitzen sie nur kurzfristige Verträge. Schneller Erfolg muss her. Stellt er sich nicht ein, verlieren sie ihren Arbeitsplatz. Auch die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit ist riesengroß. Der Grundsatz „Dabei sein ist alles“ gilt nicht mehr. Wenn die Leistungsdichte so nah beisammen liegt ist die Versuchung groß, aus dem Körper das Letzte herauszuholen, notfalls mit unerlaubten Mitteln. Einmal ganz oben stehen, dem wird alles andere untergeordnet. Erfolg um jeden Preis?"

Der Olympiapfarrer erinnert sich an eine Bibelstelle aus dem Neuen Testament. Jesus sagte einmal: „Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganz Welt gewinnt und nimmt doch Schaden an seiner Seele?“

"So schön der Sport ist und Millionen von Menschen lieben den Sport, so klar muss sein: Der Mensch ist mehr wert als die Medaillen, die er gewinnt, mehr als die Platzierung, die er erreicht. Das ist seine unverlierbare Würde als Geschöpf Gottes", so Weber.

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