12. Europäischer Kongress für Theologie vom 18. bis 22. September 2005 in Berlin

Zusammenfassungen der Hauptvorträge und Fazit des Kongresses

22. September 2005


Zusammenfassungen der Hauptvorträge vom 20. September 2005

Stefan Schreiner (Tübingen) beschäftigte sich in seinem Vortrag zu „Friedfertige und gewalttätige Religionen – Selbstbilder und Fremdbilder“ mit der generellen Differenz von Fremd- und Selbstverständnissen einer Religion unter besonderer Berücksichtigung des Islam, aber auch der anderen monotheistischen Religionen. Er tat dies anhand von acht allgemeinen religionswissenschaftlichen Thesen, die er jeweils auf den Islam hin material füllte: 1) Es gibt weder per se friedfertige noch per se gewalttätige Religionen. Die Einordnung der Religionen beruht vielmehr auf ihrer jeweiligen Wahrnehmung. 2) Diese Wahrnehmung hängt dabei nicht von den in den jeweiligen kanonischen Schriften grundgelegten Lehre einer Religion ab. 3) Kriterium der Wahrnehmung einer Religion ist vielmehr das Verhalten ihrer Anhänger. 4) Die Selbstwahrnehmung einer Religion ist dabei durchweg die einer friedlichen Religion, das gewalttätige Bild taucht zunächst immer erst als ein Fremdbild auf. 5) Dieses Fremdbild als gewalttätige Religion ist dabei umso stärker, je enger die Bindung der jeweiligen Religion an den Staat und damit die politische Sphäre ist. 6) Verhalten und Handeln der Anhänger einer Religion werden nicht zentral von den Lehren einer Religion, sondern viel stärker von ihren jeweiligen sozialen Lebenszusammenhängen her geprägt. 7) Allen Religionen ist eine dichotomische Weltsicht gemein, die zwischen den Anhängern der jeweiligen Religion und den Anderen unterscheidet. 8) Zum politischen Problem wird diese dichotomische Weltsicht allerdings erst, wenn das Bild des Anderen zum Feindbild stilisiert wird.

In seinem Anschlussvortrag plädiert Michael Bergunder (Heidelberg)  für eine radikale methodische Umstellung innerhalb der Religionswissenschaften, die er anhand des Beispiels des gegenwärtigen Buddhismus und Hinduismus erläutert. Anstatt die Religionen als feststehende Wesenheiten einer Wirklichkeit „da draußen“ zu untersuchen, möchte er die Religionen allein anhand des Diskurses über Religionen analysieren: Denn Diskurse sind nicht nur Abbildungen der Wirklichkeit, sondern diese Wirklichkeiten selber. Mehr noch: Sie schaffen ihre eigenen Wirklichkeiten. Das wird sichtbar, wenn die Diskurse in konsequent historischer und globaler Perspektive betrachtet werden. So galt der Hinduismus noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts als gewalttätige Religion. Dann aber kam es zu Verschiebungen, zu „Alterationen im globalen Diskursgefüge“. So wurde zum einen die westliche Faszination für Polytheismen im 19. Jahrhundert und ihrer Zuschreibung als friedlicher Religion aufgenommen, welche bis heute gerade in der florierenden esoterischen Szene ihr Bild bestimmt. Zum anderen nahm der Buddhismus Impulse von Gandhi auf. Das zeigt der Vergleich zwischen den beiden Autobiographien des gegenwärtigen Dalai Lamas von 1962 und 1990: Sprach er sich noch 1962 nicht eindeutig für Gewaltlosigkeit aus, so nimmt er Gandhis Begriff des ahimsa, der Gewaltlosigkeit auf und kann sie 1990 zum Zentralbegriff des Buddhismus erheben. Dies bestätigt und verstärkt wiederum die westliche Faszination im Umgang und der Beschäftigung mit dem Buddhismus: Diskurse schaffen Wirklichkeit.

Susanne Heine (Wien) unterteilt ihren Vortrag  mit dem Titel „Religiöse Bildung als Gewaltprävention“ in zwei Teile: in dem ersten entwickelt sie eine umfassende Beschreibung der Religion und der Gewalt auf anthropologischer Grundlage, in dem zweiten legt sie dar, welche Konsequenzen sich für die Bildungsarbeit ergeben. So entsteht Religion aus dem Ringen des Menschen um Selbstachtung. Dieses Ringen ist in der Verfasstheit des Menschen begründet, ist er doch ein körperliches Wesen wie jedes andere Lebewesen auch, das zugleich davon weiß und sich somit in seiner Individualität bedroht sieht. Religionen bieten eine umfassende, holistische Sinnkonstruktion an, zahlen das aber mit dem Preis ihrer Doppelgesichtigkeit. Denn das umfassende Sinnangebot immunisiert zum einen gegen Kritik und reißt zum anderen einen Graben zur Wirklichkeit auf. Religionen stehen in der Versuchung, diesen Graben zuzuschütten und dazu auch Gewalt anzuwenden. Sieht man diese Phänomene etwa im gegenwärtigen Terrorismus des Islams, so bleibt festzuhalten, dass letztlich nicht die Religion selbst, sondern die grundlegende Verfasstheit des Menschen als Wurzel der Gewalt namhaft zu machen ist. Religiöse Bildung muss auf dreifache Weise darauf reagieren: erstens muss religiöse Bildung ausgebaut werden, um durch das Kennenlernen Verständnis zu erzeugen. Zweitens muss dies Kennenlernen auf einer gemeinsamen Auslegungskultur basieren. Drittens ist diese Auslegungspraxis Teil eines anti-szientistischen Bildungsbegriffes, der die Bildung der Person, nicht die Anhäufung von Faktenwissen in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen stellt.

Zusammenfassung der Hauptvorträge vom 21. September 2005

Der Vortrag „Reich Gottes und weltliche Macht. Frühchristliche Perspektiven auf Macht und Gewalt“ von Michael Wolter (Bonn) ist in zwei Teile geteilt: in einem ersten rekonstruiert er Jesu Verständnis des Reiches Gottes, in einem zweiten die Aufnahme dessen in den frühchristlichen Gemeinden. Die Reich-Gottes-Verkündigung Jesu ist aus dem Verständnis des Reiches Gottes, wie es in seiner jüdischen Umgebung geläufig war, zu verstehen. Dieses war durch vier Kennzeichen charakterisiert: in inhaltlicher Hinsicht durch ein Zugleich von Universalismus und Israelzentriertheit; in genetischer Hinsicht durch ihre Entstehung aus einer Unterdrückungssituation, in der die Alleinigkeit Gottes herausstellt wird; in der weiteren inhaltlichen Bestimmung, dass sich das Reich Gottes jetzt, und zwar gewaltsam, durchsetzt; und zwar dadurch, dass es von Gott selbst, nicht von einer messianische Gestalt realisiert wird. Jesu Verständnis differiert allein dadurch davon, dass er seine eigene Person mit der Realisierung des Gottesreiches verbindet. Die nachösterliche Gemeinde übernahm diese Charakteristika und betont dabei noch einen Aspekt, der auch in der jesuanischen Verkündigung präsent war: Die Durchsetzung des Reich Gottes ist grundsätzlich von dem Bereich der Politik unterschieden („Mein Reich ist nicht von dieser Welt“). Entsprechend entwickelt die Gemeinde ihr Ethos zunächst vor allem für den privaten Bereich. Solche Reflexionen wie Rm 13 sind die Ausnahmen und zielen darauf ab, die gottesdienstlich vollzogene, neue Wirklichkeit und die durch sie strukturierte Gemeinschaft dann auch in der Politik wirksam werden zu lassen.  

Johannes Schillings (Kiel) Vortrag „Kreuzzug und Friedensreich“ ging in Bezug auf sein Thema, den Kreuzzügen und dem Gedanken der militia Christi, von drei Grundbeobachtungen aus: a) der Krieg ist eine anthropologische Grundgegebenheit, b) es kommt dabei sowohl in der Selbst- als auch in der Fremdbeschreibung zu einer Verschiebung vom individuellen Niveau zu dem einer überindividuellen Masse, eines kollektiven Selbst und c) die Kreuzzüge sind Teil der Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift, indem die militia Christi als Verwirklichung der Nachfolge verstanden wurde. Schilling analysierte zunächst, was das geschichtlich Neue am 1. Kreuzzug darstellt und sah es v.a. darin, dass hier zum ersten Mal die Kirche als institutionell gefestigte Macht als Ganze nach außen aktiv und gewaltsam in Erscheinung trat. Daraufhin wurde anhand von Bernhard von Clairvaux und seines Lobs des Templer-Ordens als Merkmal des Kreuzzugsgedankens aufgezeigt, dass hier die persönliche Frömmigkeit in die Ziele der Christenheit als Folge der Institution-Werdung der Kirche integriert wurde. Nach der Darstellung von Nikolaus von Kues und seinem Verständnis der drei monotheistischen Religionen, die aufgrund ihres Glaubens an den einen Gott eigentlich eine Religion seien, die lediglich durch unterschiedliche Riten getrennt seien, zeigte Schilling abschließend den Wandel des milita Christi-Verständnis bei Martin Luther, für den die wahre milita Christi im Predigerstand vorhanden ist, der in besonderer Weise den inneren Kampf gegen den Teufel kämpft.

In seinem Vortrag „Die Neuerfindung der Politik im 17. Jahrhundert“ ging Robert von Friedeburg (Rotterdam) von der Beobachtung aus, dass das 16. und 17. Jahrhundert mit seiner Vielzahl an Bürger- und Religionskriegen eine völlig neue Dimension des Zugriffs der Obrigkeit auf die Gesellschaft gesehen hat. Dieser Zugriff, der sich u.a. in der Entwicklung einer effektiven Verwaltung äußerte, diente wesentlich der notwendigen Umlenkung des gesellschaftlichen Reichtums zur Finanzierung der Kriege. In diesem Rahmen ist auch von der Neuerfindung der Politik zu sprechen, die sich in der Abkehr von dem vorher dominierenden Politik-Verständnis des Aristoteles besonders seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zeigte. Die Säkularisierung des Naturrechts, die eine Schwerpunktsverlagerung von der Schöpfungsordnung und damit der Betrachtung des Gemeinwesens hin zu der Begründung des Gemeinwesens vom Interesse des Einzelnen her bedeutete, führte zur Erfindung eines neuen Politik-Verständnisses.

Zwischenfazit Europäischer Kongress der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie:

Der 12. Europäische Kongress für Theologie fand vom 18-22- September in Berlin statt. Der Kongress wird von der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie veranstaltet. Gastgeberin war die Theologische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und behandelte das Thema „Religion, Politik und Gewalt“. Die herausgehobene Stellung des Kongresses wird nicht nur durch die Zahl von ca. 350 Teilnehmern aus dem In- und Ausland dokumentiert, sondern zeigte sich auch durch die Eröffnungsvorträge des Kongresses durch den EKD-Ratsvorsitzenden Bischof Huber und die Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, Gesine Schwan. Huber bescheinigte den Veranstaltern, dass sie „eines der Großthemen des 21. Jahrhunderts“ zur Bearbeitung ausgewählt hätten. Schwerpunkt der viertätigen Kongressarbeit war die Analyse des Gewaltpotentials der Religionen in systematischer und historischer Perspektive ebenso wie der konstruktive Beitrag, den die Religionen zur Bändigung der Gewalt leisten können. In den interdisziplinären Diskussionen mit internationaler Beteiligung stellte sich als eine gemeinsame Einsicht heraus, dass Religion immer dann zur Gewalt führt, wenn sie politisch instrumentalisiert wird. Umgekehrt gelte es, die Ressourcen der Religionen zu einer friedlichen Konfliktbewältigung, die in ihrem eigenen Wahrheitsbewusstsein angelegt sind, aufzudecken und auch im politischen Raum nutzbar zu machen. In verschiedenen Beiträgen wurde gezeigt, dass gegenüber dem in der Gegenwart häufig geäußerten Lob des Polytheismus den monotheistischen Religionen nicht undifferenziert ein inhärentes Gewaltpotential zugeschrieben werden dürfe. Vielmehr dokumentiere die Geschichte der monotheistischen Religionen einen Lernprozess, in dem die gewaltfreie Erkenntnis als Kommunikationsweg ihres Wahrheitsanspruches zur Geltung kommt. Die grundsätzliche Fragestellung wurde in unterschiedlichen Sektionssitzungen aus der Perspektive der einzelnen theologischen Fächer behandelt: so z.B. im Beitrag „Violent Religion“ aus systematisch-theologischer Sicht oder in einem Diskussionsforum über „Jesus und die Gewalt“ bei den Bibelwissenschaften. Der Kongress war ein eindrucksvoller Beleg für die Interpretationskompetenz der wissenschaftlichen Theologie im blick auf die religiöse Situation der Gegenwart.