Golz fragt ... Landesbischöfin Margot Käßmann

Der Sport-Journalist Wolfgang Golz spricht mit Hannovers Landesbischöfin über Fußball

07. Juli 2005


Der bekannte Sport-Journalist Wolfgang Golz fragt an dieser Stelle regelmäßig prominente Fußballspieler, Trainer, Fans und Experten nach ihren Erwartungen an die WM 2006 in Deutschland. Diesmal spricht er mit Hannovers Landesbischöfin Margot Käßmann über Fußball als Ersatzreligion und die Frage, ob es einen Fußballgott gibt.

Frau Bischöfin Käßmann, warum wird Deutschland 2006 Weltmeister?

Wahrscheinlich, weil die Fans die Mannschaft so grandios anfeuern. Was habe ich 1974 mitgefiebert! Aber lassen wir doch einmal Kenia vor Glück jubeln oder Südafrika – ich könnte mich von Herzen mitfreuen und viele andere Deutsche auch.

Weil Deutschland in der Vergangenheit bei Weltmeisterschaften oft mit Glück überschüttet wurde, entstand der geflügelte Satz: Der Fußballgott muß ein Deutscher sein.

Ist das nicht großartig, dass Gott über all unseren Nationalitäten steht? Glauben verbindet doch Völker. Doch wenn die Deutschen viele Dankgebete sprechen – mich würde es freuen.

Gibt es einen Fußballgott?

Gott im Trikot - Nummer 1, Sportschuhe gesponsert von – eine interessante Vorstellung. Trotzdem ist die Antwort: Nein! Ich denke, Gott freut sich mit den Gewinnern und stärkt den Verlierern den Rücken und sagt allen - vor allem den Hooligans - hey, es ist ein Spiel! Es geht um Spaß an der Sache.

Diego Maradona erzielte 1986 mit der Hand ein eigentlich irreguläres Tor gegen England und sprach danach von der "Hand Gottes"... und Argentinien wurde auch noch Weltmeister.

Ach, ich denke, Gott hat Wichtigeres zu tun. Und Diego Maradona hat sich ja nicht nur einmal allzu wichtig - bzw. den Mund allzu vollgenommen.

Vor großen Finals besinnen sich manchmal selbst abgezockte Profis auf Gott und gehen in die Kirche und erbitten göttlichen Beistand. Was empfinden Sie dabei - ärgert Sie das? Oder sagen Sie: Hauptsache, dass sie mal wieder da sind. Der verlorene Sohn?

Ich freue mich über alle, die beten und in der Kirche ist mir jeder und jede herzlich willkommen. Allerdings sollten sie nicht vergessen, dass Gott gerade den Schwachen zu Seite stehen will. Es heißt in der Bibel: Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Also nicht so verbissen, sondern fröhlich dabei sein. Möge die bessere Mannschaft gewinnen.

Moderne Stadien werden oft verzückt als Fußball-Kathedralen oder Tempel des Fußballs bezeichnet.

Begeisterung für Fußball, für eine Mannschaft kann ich verstehen. Aber das ist schon traurig, wenn der Sinn des Lebens in Fußball besteht. Wer wird da angebetet? Und Asche im Stadion verstreuen, wie in England, finde ich ziemlich trostlos.

Ich kenne jemanden, der mich manchmal provozieren will – der sagt dann: Am Sonntag, da sind die Leute im Stadion und nicht bei Ihnen in der Kirche. Aber was war am 11. September 2001? Oder am Tag des Erfurt-Massakers? Und im Winter, als der Tsunami wütete? Da haben die Menschen nicht in Stadien Trost und Orientierung gesucht, sondern in Kirchen. Das heißt, die meisten wissen schon noch, was der Unterschied ist.

Im Stadion des FC Barcelona ebenso wie beim FC Schalke existieren Kapellen für stille Andachten. Ein Vorbild für andere?

Ja, das finde ich eine gute Idee! Wir haben inzwischen eine Kapelle am Flughafen Hannover. Ich werde bei Hannover 96 mal anfragen. Spieler, Trainer, Fans haben ja durchaus Kummer, Fragen, das Bedürfnis nach einem stillen Gespräch mit Gott.

Die Schalker Fans behaupten: Schalke sei kein Verein, sondern eine Religion.

Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott, sagt die Bibel. Wenn aber Schalke verliert? Wenn ich nicht weiter weiß oder krank bin und sterbe, hält mir dann der FC Schalke die Hand, tröstet und begleitet mich? Da verlasse ich mich doch lieber auf den Gott der Bibel, der bei mir ist in guten und in schlechten Zeiten.

Stellen Sie sich vor, der FC Bayern München oder Hannover 96 aus Ihrer Stadt bittet Sie vor den Profis eine Predigt zu halten – reizvoll für Sie?

Aber sicher! Einige lassen sich übrigens durchaus mal im Gottesdienst sehen. Vielleicht würde ich predigen über "Die ersten werden die letzten sein"? Nicht mit erhobenem Zeigefinger. Nein, Lust am Fußball, Spielbein in Aktion, aber mit dem Standbein wissen, wo ich stehe, wo ich Halt finde, darum geht es.

Fußball findet nicht nur auf höchster Ebene, sondern im kleinsten Verein und auf dem Bolzplatz um die Ecke statt. Soziale Integration also – das ist ja auch das Anliegen der christlichen Kirchen.

Ja, da leistet der Sport ganz viel. Ich bin sehr dafür, dass Kirche und Sport mehr zusammen arbeiten. Wir haben hier etwa einen Nordseelauf unter dem Motto "Mach nicht halt, lauf gegen Gewalt". Beim Hannover-Marathon laufen wir – inklusive Bischöfin – beim 10-Kilometer-Pro-Toleranzlauf mit. Und es gibt eine Aktion "fair trade – fair play" mit kleinem Soccer-Court, der Fußball in den Gemeinden nutzt, um ins Gespräch zu kommen.

Der alte Römer Juvenalis wusste schon: Nur in einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist. Wie wichtig ist Sport für Sie?

Ich bin kein Sport-As, aber begeisterte Joggerin, radle und schwimme gerne. Und ich kann durchaus mitfiebern, wenn Sportler wetteifern. Für mich ist der Körper ein Geschenk Gottes und beim Sport pflegen wir das sozusagen.

Haben Sie selbst auch mal gegen den Ball getreten?

Beim Kick-off zu der genannten Aktion "fair play - fair trade". Ziemlich hoffnungslos, was die Taktik betrifft, aber immerhin mit Sandalen das Tor getroffen. Dafür hat mir der niedersächsische Fußballbund ein T-Shirt von Stefanie Gottschlich geschenkt – das fand ich natürlich klasse und das trage ich jetzt beim Joggen. Dass die Frauen die Fußballweltmeisterschaft gewonnen haben, fand ich natürlich auch toll!

Auch Fußballprofis, siehe Bayern Münchens Brasilianer Lucio oder Zé Roberto, bekennen sich öffentlich zu Gott.

Wenn sich Gerald Asamoah vor dem Spiel bekreuzigt, finde ich das schön. Wenn die Kenianer nach einem Tor auf die Knie gehen und Gott danken, kann ich mich richtig mitfreuen. Und wenn ich sehe, wie Hannovers Nationalspieler Per Mertesacker als Zivi bei unserem Evangelischen Kirchentag mitgeholfen hat, ganz bescheiden, dann berührt mich das.

Beten scheint sowieso im Kommen zu sein, regelrecht trendy, wie manche Zeitschriften verkünden.

Wenn beten zum Trend wird, kann ich nichts dagegen haben. Nur: Zu welchem Gott wird gebetet? Dem Vater von Jesus Christus oder zu einem diffusen Gottesbild? In der Individualisierung erscheinen da oft zusammengebastelte Gottesbilder.

Grundsätzlich ist Beten doch zu begrüßen?

Das Beten war in Deutschland eine ganze Zeit verloren gegangen. Es erschien der Eindruck, daß man alles sich selbst zu verdanken habe.

Sehen Sie auch eine Rückkehr der Religionen?

Ein bisschen Hinduismus, ein bisschen Buddhismus, das ist es nicht. Christentum heißt auch, sich ein wenig anzustrengen, sich nicht nur um sich selbst, sondern auch um den Nächsten kümmern.

Sie kennen den Begriff des Gesundbetens. Ein amerikanischer Herzspezialist behauptet, beten würde die Patient viel schneller gesund werden lassen.

Gesundbeten ist der falsche Begriff. Wer an Gott glaubt, hat eine andere Grundlebenshaltung. Wenn du krank bist, bist du Gott näher. Und wer tapfer mit einer Krankheit umgeht, weiß mehr vom Glauben als Gesunde.

Sollte es ein Fußballer bei einem Schienbeinbruch vielleicht mal mit Gesundbeten probieren?

Gott ist keine Maschine. Gott kann helfen, eine Krankheit zu tragen, wie dem gelähmten Turner, der nach seinem Unfall vom Hals an querschnittgelähmt ist.

Sie wurden im – wohlgemerkt katholischen – Magazin "Publik Forum" mit der Schlagzeile bedacht: "Habemus Mamam". In Anlehnung an den Satz nach der erfolgreichen Wahl eines neuen Papstes: Habemus Papam. Ein schönes Kompliment, oder?

(Die Bischöfin lächelt.) Jeder Christ und jede Christin ist in die Verantwortung gestellt, in die Nachfolge zu treten. Und daß auch Humor dazu gehört, ist klar. Denn nichts ist schlimmer als traurige Christen. Bei meinen Predigten wird manchmal sogar laut gelacht.

Sie werden gerne so beschrieben: Das Herz im Himmel, die Füße auf dem Boden und den Kopf in der Realität – gefällt Ihnen das?

Das höre ich so heute zum ersten Mal, aber ehrlich gesagt: ja, gefällt mir.



Dr. Margot Käßmann

geboren 1958 in Marburg, wo sie auch Abitur machte. Verheiratet, vier Töchter; Studium in Tübingen, Göttingen, Edinburgh und Marburg. 1985 zur Pastorin ordiniert, seit 1999 Landesbischöfin in Hannover. Autorin mehrerer Bücher. Ihr neustes mit dem Titel "Wurzeln, die zu Flügeln werden" war auf dem Evangelischen Kirchentag in Hannover ein Bestseller. Bischöfin Käßmann hält sich mit Jogging (um die 10 Kilometer) fit: "Nur so zum Spaß. Leistung muß ich woanders bringen."

07. Juli 2005

Quelle: http://www.wm2006.deutschland.de/