Ökumenischer Gottesdienst

Gedenken der Opfer der Jahrhundertkatastrophe in Südasien in der Oberpfarr- und Domkirche zu Berlin

09. Januar 2005


14.50 Begrüßung und Einführung Dompfarrer Dr. Wüstenberg

Begrüßung durch den `Hausherrn`; Einstimmung, Hinweise (Handy; Kollekte); es kann sein, dass vom  letzten Lied weniger als die ausgedruckten Liedstrophen singen können; bitte achten sie auf das Orgelspiel.

15.00 Orgelvorspiel Domkantor Tobias Brommann/Einzug der Mitwirkenden

Die Mitwirkenden sammeln sich im Gemeinderaum (Eingang Portal 9 von der Spreeseite), gehen rechtzeitig zum zentralen Eingang und ziehen von dort mit Beginn der Orgelmusik und der Fernsehaufzeichnung durch den Mittelgang ein  zum Altar; Dr. Schwaetzer/DP Hünerbein führen die Reihe an, es folgen die Mitwirkenden und Bischof Klaiber; Bischof Huber und Kardinal Lehmann bilden den Schuss. Die Herren Lehmann, Huber, Klaiber und Hünerbein setzen sich rechts neben den Altar, die anderen Mitwirkenden sitzen in der 1. Reihe.

15.03 Begrüßung/ausführlichere Hinführung Bischof Huber

Liturg:   Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes
Gemeinde:  Amen
Liturg:   Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn
Gemeinde:   der Himmel und Erde gemacht hat
Liturg:   Der Herr sei mit Euch
Gemeinde:  und mit Deinem Geist

Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Mit dieser biblischen Aufforderung grüße ich Sie alle, liebe Gemeinde hier im Berliner Dom und liebe Zuschauerinnen und Zuschauer an den Bildschirmen, zu einem besonderen Gottesdienst. Den Überlebenden des Seebebens im Indischen Ozean gilt mein Gruß, in deren Leben nun diese Bilder des Schreckens eingezeichnet sind. Den Angehörigen und Trauernden, die hier unter uns sind oder die Übertragung des Gottesdienstes verfolgen, gilt in dieser Stunde unsere besondere Zuwendung und Nähe. Mit den betroffenen Menschen in der Region um den Indischen Ozean und in aller Welt müssen sie nach der Welle aus Wasser die Welle des Schmerzes und der Ungewissheit, der Angst und der Verletzung ertragen. Wir wenden uns in diesem ökumenischen Gedenkgottesdienst für die Opfer der Flutkatastrophe in Gebet und Gesang, in Stille und Hören an Gott und bitten ihn um Trost und Geleit. Mit großer Dankbarkeit nehmen viele Menschen das Zeichen der Anteilnahme und der Solidarität wahr, das Sie, Herr Bundespräsident, und Sie, Herr Bundeskanzler, zusammen mit vielen Vertreterinnen und Vertretern des öffentlichen Lebens und des diplomatischen Corps durch Ihre Teilnahme an diesem Gottesdienst geben. 

Erlebnisse aus unserer eigenen Geschichte werden wach, wenn wir nach Sprache suchen für das Entsetzen, das diese Welle in Südasien ausgelöst hat. Für manche von uns werden Bilder aus der Kriegszeit lebendig, an die uns die schrecklichen Bilder erinnern, die uns aus Phuket und Sumatra, aus Sri Lanka und Indien erreichen. Übermenschliche Anstrengungen zur Bergung von Verletzten und Toten kommen uns in den Sinn, wenn wir an die Leistung der Helferinnen und Helfer denken, die in den letzten Tagen Überlebende suchten und oft nur Tote fanden. Aufopfernd ist das Handeln derer, die sich bemühen, Tote zu identifizieren und ihnen damit ihren Namen, ihre Persönlichkeit, ihre Erinnerbarkeit wiederzugeben. Vielen werden ihre Liebsten nicht zurückgegeben werden; keinen Ort des Erinnerns werden sie haben; gerade mit ihnen trauern wir an diesem Tag.

Aber die gewaltige Welle der Flut in Südasien hat andere Wellen ausgelöst, die in uns Dankbarkeit und Hoffnung wecken. Dieser Tage sah ich in einem Bericht einen deutschen Arzt in Sri Lanka, der mit den Kindern ein Kinderlied einübte: „He's got the whole world in his hands“. Ein scheues Lachen huschte über die  kindlichen Gesichter, zaghaft meldete sich Fröhlichkeit in der Mitte von Verwüstungen; ich gestehe, dass mich das außerordentlich berührt hat. Einem jungen Mann bin ich vor wenigen Tagen begegnet, der seine Mutter in Sri Lanka verloren und mit seinem Bruder überlebt hat. Einheimische halfen den beiden weiter; zur Begründung sagten sie nur: „We are all human beings“. In beiden Szenen steckt das doppelte Bekenntnis, zu dem wir heute unsere Zuflucht nehmen: „He’s got the whole world in his hands.“ Und: „We are all human beings.“ Nur zwei Bilder sind das für die gewaltige Welle von Mitgefühl und Hilfsbereitschaft, die durch Deutschland, durch Europa, durch die ganze Welt geht. Darum wollen wir in dieser Stunde an all die Menschen denken, die vor Ort Kinder trösten und Kranke verbinden, die Verletzten Mut zusprechen und Hilfsgüter verteilen, die großes Geld und kleines Spielzeug spenden für.

Zuletzt die dritte große Welle, die wir nicht vergessen wollen: Es gehört zur Wahrheit auch des christlichen Glaubens, dass solche furchtbaren Unglücke auch die Zweifel an Gott und seiner Güte  nach oben spülen. Niemand verbietet uns die Frage nach dem Warum, die auch von Jesus selbst gestellt wurde: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Angesichts des Ausmaßes der Katastrophe sind wir in unserer Seele, in unserer Zuversicht, in unserer Hoffnung, in unserem Glauben angefochten. Gott scheint verborgen hinter dieser Welle. Darum wollen wir in dieser Stunde auch dies tun: Gott bitten, dass er uns stärkt und hält und tröstet in unserem Glauben, und uns Mut und Kraft gibt, weiterhin zu helfen.

Wir bitten Sie hier im Berliner Dom, aber auch Sie alle an den Bildschirmen, auch weiterhin an der Solidarität mit den Betroffenen festzuhalten und in der Kollekte am Ende dieses Gottesdienstes oder auch auf die nun im Fernsehen eingeblendete Bankverbindung nach Ihren Möglichkeiten zu spenden. Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.
Gott segne uns diesen Gottesdienst nach dem Reichtum seiner Gnade. Amen.

15.08 Eingangslied „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“

Ö-Lied EG  299, 1 + 4 = GL 163, 1 + 3, zwischen 1. und  2. Strophe singt
(Berliner Domkantorei Strophe 3: „Darum auf Gott ich hoffen will...“)

15.12   Psalm 77 (Berliner Domkantorei nach Genfer Psalter - Claude Goudimel)

15.15 Bischof Huber: Entfaltetes Kyrie - Einführung 

Den Anlass zur Klage haben heute alle, die um Tote klagen müssen, die in den Fluten des Indischen Ozeans umgekommen sind; denn es sind ihre Namen, ihre Gesichter, ihre Geschichten und ihr Glanz, der uns genommen ist, der uns fehlt, um den wir weinen müssen.
Klagen müssen auch alle, die bangen und hoffen, die voller Ungewissheit und Sehnsucht nach ihren Angehörigen, ihren Freunden und Bekannten fragen, die nirgends zu finden sind und darum so schrecklich vermisst werden.
Und klagen müssen auch alle, die entsetzt und fassungslos sind ob der unzähligen Opfer, die diese Katastrophe forderte, all die Menschen in den betroffenen Regionen, von denen wir nur in Zahlen und Statistiken hören.
Deswegen lassen Sie uns aller Toten und Vermissten gedenken, den bekannten und unbekannten, den Nahen und Fernen, lassen Sie uns so unseren Kummer und unseren Schmerz, auch unseren Zweifel an Gottes Güte vor ihn hintragen, indem wir gemeinsam für sie beten und mit jedem dieser Gedanken eine Kerze entzünden. Wir bitten Sie dazu aufzustehen. 

Kerzenritus

Die fünf Sprecher haben eine kleine Kerze bei sich und treten gemeinsam vor den Altar; in angemessenem Abstand vor dem Altar steht ein Leuchter oder eine Sandschale mit einer entzündeten Kerze. Der jeweilige Beter spricht das Gebet und tritt dann an den Leuchter/an die Sandschale, entzündet seine Kerze und stellt sie auf den Leuchter/in die Sandschale.

1. Gebet: Domprediger Hünerbein 

Wir beten für die unzähligen unbekannten und fremden Menschen,
die in den Fluten ertranken, wir beten für die Fischer, Bauern, Handwerker in den betroffenen Ländern, für die Familien, die alles verloren haben und nichts bewahren konnten von dem, was sie erarbeitet, gegründet, gepflanzt und hervorgebracht haben. Wo findet sich der Mut für den Neuanfang in all dieser Zerstörung?
1. Kerze entzünden - Domkantorei singt ein Kyrie

2. Gebet: Frau Lienda Aliwarga (Kulturattachee indonesische Botschaft)
(in englischer Sprache)
Wir beten für alle Kinder, die plötzlich ohne Eltern, Geschwister und Familie sind,
die allein übrig blieben, die fassungslos vor den Trümmern ihrer Heimat stehen.
Gibt es eine Kraft, die sie trotz all dieses Kummer einen Weg zurück ins Leben finden lässt?
2. Kerze entzünden - Domkantorei singt ein Kyrie

3. Gebet: Bischof Klaiber (ACK)
Wir beten für alle Eltern, die verzweifelt ihre Kinder suchen, die mit all ihrer Liebe weinen müssen um die nicht gefundenen Töchter, um die vermissten Söhne. So viel Ungewissheit, so viel enttäuschte Hoffnung. Gibt es Licht in all dieser leidvollen Finsternis? 
3. Kerze entzünden - Domkantorei singt ein Kyrie

4. Frau Dina Kabul (Studentin aus Indonesien)
Wir beten zu Gott für alle, die sterben mussten in diesen Wellen, denen das Leben fortgerissen ist, die in ein Sonnenparadies zu fliegen glaubten und in der Wasserhölle landeten, die herausgerissen wurden aus ihrem Leben, ihren Familien und Freunden. Wir fragen verzweifelt: Wo ist das Heil der Verstorbenen, wo der Trost für die Zurückgebliebenden?
4. Kerze entzünden - Domkantorei singt ein Kyrie 

5. Gebet: Roshan Gnaneswaran (Mitglied der katholischen tamilischen Gemeinde in Berlin) 
Gott, wir beten auch für alle, die in dieser Not helfen, die mit ihrer Kraft, ihrem Einsatz, ihren Spenden die Not zu lindern versuchen, die den Toten ein würdiges Geleit geben und den Überlebenden beistehen. Wir fragen nach den Quellen der Solidarität unter den Bewohnern dieser einen Erde.  
5. Kerze entzünden - Domkantorei singt ein Kyrie 

Bischof Huber
Gott, in der Stille gedenken wir der Opfer dieser Naturkatastrophe

kurze Stille

Der Apostel Paulus ruft uns über alle Dunkelheit hinweg zu:
„Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.“ (Röm 8, 38 f.)

Lasst uns beten

Gott, unser Hoffnungsgebet steige auf zu dir,
und es senke sich auf uns herab dein Erbarmen,
sei Du das Licht unseres Herzens,
der Trost unserer Seele, der Halt in unseren Ungewissheiten,
tröste uns in unserem Kummer, und begleite uns in der Schwere des Abschiedes.
Wir bitten dich: lass den Tod nicht zu große Schatten werfen über unser Leben, 
dass wir mutig glauben und tapfer hoffen auf dein Wort,
dass Du lebst, und wir auch leben sollen.
Darum bitten wir dich im Namen unseres Herrn und Bruders Jesus, der mit Dir
und dem heiligen Geist lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen


15.25 1. Lesung/Predigttext Kohelet 3, 1 -  9 (Einheitsübersetzung - Bischof Klaiber)

1 Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit:
2 eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Abernten der Pflanzen, 3 eine Zeit zum Töten und eine Zeit zum Heilen, eine Zeit zum Niederreißen und eine Zeit zum Bauen, 4 eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz; 5 eine Zeit zum Steinewerfen und eine Zeit zum Steinesammeln, eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit, die Umarmung zu lösen, 6 eine Zeit zum Suchen und eine Zeit zum Verlieren, eine Zeit zum Behalten und eine Zeit zum Wegwerfen,
7 eine Zeit zum Zerreißen und eine Zeit zum Zusammennähen, eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden, 8 eine Zeit zum Lieben und eine Zeit zum Hassen, eine Zeit für den Krieg und eine Zeit für den Frieden. 9 Wenn jemand etwas tut - welchen Vorteil hat er davon, daß er sich anstrengt?

Berliner Domkantorei singt In meines Herzens Grunde
 (aus Johannes-Passion von J.S. Bach)

2. Lesung aus dem Römerbrief des Apostel Paulus, Kap 8, 19-23, 31-35, 38-39
(Frau Lienda Aliwarga - Kulturattachee indonesische Botschaft)

19 The creation waits in eager expectation for the sons of God to be revealed.
20 For the creation was subjected to frustration, not by its own choice, but by the will of the one who subjected it, in hope
21 that the creation itself will be liberated from its bondage to decay and brought into the glorious freedom of the children of God.
22 We know that the whole creation has been groaning as in the pains of childbirth right up to the present time.
23 Not only so, but we ourselves, who have the firstfruits of the Spirit, groan inwardly as we wait eagerly for our adoption as sons, the redemption of our bodies.
31 What, then, shall we say in response to this? If God is for us, who can be against us?
32 He who did not spare his own Son, but gave him up for us all – how will he not also, along with him, graciously give us all things?
33 Who will bring any charge against those whom God has chosen? It is God who justifies.
34 Who is he that condemns? Christ Jesus, who died – more than that, who was raised to life – is at the right hand of God and is also interceding for us.
35 Who shall separate us from the love of Christ? Shall trouble or hardship or persecution or famine or nakedness or danger or sword?
37 No, in all these things we are more than conquerors through him who loved us.
38 For I am convinced that neither death nor life, neither angels nor demons, neither the present nor  the future, nor any powers,
39 neither height nor depth, nor anything else in all creation, will be able to separate us from the love of God that is in Christ Jesus our Lord.

Deutsche Fassung in Gottesdienstordnung und in einer kommentierenden Fernseheinblendung
19 Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes.
20 Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat; aber zugleich gab er ihr Hoffnung:
21 Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes.
22 Denn wir wissen, daß die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt.
23 Aber auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, daß wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden.
31 Was ergibt sich nun, wenn wir das alles bedenken? Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns?
32 Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
33 Wer kann die Auserwählten Gottes anklagen? Gott ist es, der gerecht macht.
34 Wer kann sie verurteilen? Christus Jesus, der gestorben ist, mehr noch: der auferweckt worden ist, sitzt zur Rechten Gottes und tritt für uns ein.
35 Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert?
37 Doch all das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat.
38 Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten
39 der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.

Der Chor der Indonesischen Katholischen Studentenfamilie (KMKI)
singt ein indonesisches Trauerlied

15.35 Predigt Kardinal Lehmann
Karl Kardinal Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Herr Bundespräsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren!

Wir sind hier im Berliner Dom und über das Fernsehen in ganz Deutschland in Trauer versammelt zum Gedenken an die Opfer der Flutkatastrophe in Südasien am 2. Weihnachtsfeiertag. Wir haben unsere Fragen und Klagen zur Sprache gebracht. Die Welt trauert mit, denn überall herrscht Fassungslosigkeit und Entsetzen gegenüber dem fast unvorstellbaren Ausmaß dieser Katastrophe. Sie hat uns auch besonders deshalb getroffen, weil wir kaum Erklärungsmöglichkeiten haben. Es gibt keine kriminelle oder politisch motivierte Ursache, die auf Menschen zurückgeht, wie am 11. September 2001. Wir können nicht einmal sagen, dass die Katastrophe auf einem Fehlverhalten der Menschen im ökologischen Sinne beruht. Die Macht der Natur hat die Menschen in Südasien und weit darüber hinaus bis an die Küsten Afrikas geradezu schicksalhaft überwältigt. Darum stehen wir zunächst besonders ohnmächtig und hilflos vor dieser Urgewalt aus der Tiefe des Indischen Ozeans. Die elementare Wucht der Naturgewalten gibt uns keine Erklärung und schenkt uns keinen Trost, macht uns sprachlos.

Dies ist ein Schock für unsere heutige Zivilisation. Wir haben die irdischen Kräfte vor allem durch Wissenschaft und Technik so zu beherrschen und umzugestalten gelernt, dass wir wirk-lich im Übermaß glaubten, wir seien die „Herren und Besitzer“ der Natur (Descartes). Jetzt müssen wir zunächst wehrlos eine Naturkatastrophe hinnehmen, die uns bei all unseren Leis-tungen und dem bewundernswerten Können in unserer Endlichkeit, Armut und Sterblichkeit entlarvt. So sind wir Menschen auch des 21. Jahrhunderts verwundbarer, als es der verbliebene Rest eines Fortschrittsglaubens vermittelt. Deshalb rücken wir durch diese Flutkatastrophe nicht nur stärker in der weltweiten Anteilnahme an diesem Drama zusammen, sondern wir werden auch erinnert an eine uralte Geschichte des Unheils: Die Bibel hat wie auch andere Religionen und Mythen die Erzählung von der Sintflut aufbewahrt und dadurch die zerstörerische Kraft von Katastrophen, besonders im Blick auf die Kräfte des Wassers, angemahnt.

Auch in der Neuzeit gibt es ungeheuere Tragödien. Als im Jahr 1755 zwei Drittel von Lissabon mit mindestens 30.000 Toten durch ein Erdbeben vewüstet worden sind, als vor bald 60 Jahren die Stadt Dresden mit 35.000 identifizierten Opfern durch einen Bombenhagel zerstört wurde, als am 6. und 9. August 1945 in Hiroshima und Nagasaki die ersten Atombomben 100.000 Menschenleben kosteten und im Jahr 1991 die Überschwemmung des unsäglich armen Bangladesch wiederum 100.000 Opfer forderte, da haben die Menschen immer wieder auch für sich selbst das Ende der Welt nahe gefühlt. Darum sprechen wir nicht zufällig von einem apokalyptischen Ausmaß der Katastrophe.

Heute ist die Weltgemeinschaft durch die modernen Kommunikationsmittel und die Globali-sierung noch dichter zusammen gerückt. Auch wenn die Katastrophen weit entfernt geschehen, sind sie durch die modernen Medien im Nu in unseren Wohnzimmern. Gerade dadurch kommt uns die Katastrophe in Südasien anders als früher auch so einmalig vor.

In einer solchen Ratlosigkeit suchen die Menschen nach einem verborgenen Sinn. Auch Menschen, für die der Glaube im Alltag keine große oder keine Bedeutung besitzt, fragen, warum Gott, von dem plötzlich alle reden, so etwas „zugelassen“ habe. Man kann aber gerade in dieser asiatischen Zerstörungswelle nicht so schnell Sündenböcke entdecken. Vielleicht flieht man deswegen rasch zu einer alles bestimmenden Ursache. Aber es führt kein Weg daran vorbei: Es ist unverständliches Leid, ohne jede erkennbare Schuld. Dies macht die Herausforderung und das Rätsel noch größer. Es gibt nicht nur das moralische Übel, das wir noch eher bekämpfen können, sondern es gibt in unserer Welt auch grundlegende Unvollkommenheiten, Mängel und Fehler. Wir sitzen auch sonst viel mehr, als uns bewusst ist, auf einem gefährli-chen Vulkan, der noch längst nicht zur Ruhe gekommen ist. Jetzt sind wir aus den Täuschungen jäh aufgeweckt worden. Wie selten spüren wir die Wahrheit des Buches Kohelet, des Predigers Salomo: „Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit: eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben.“ (Koh 3, 1f)

Lange hat man sich besonders im theologischen Denken gegenüber dieser grundlegenden Rätselhaftigkeit durch die Annahme zu helfen versucht, das Übel und das Böse hätten schon einen uns eben jetzt noch entzogenen Sinn, der sich erst später in einer höheren Harmonie enthülle, in die jetzt nur Gott selbst Einsicht habe. Manche dachten auch an eine bei der Vollendung der Welt und der Geschichte geschehende Allversöhnung.

So können wir nicht mehr denken. Dazwischen steht vor allem die Erfahrung mit zwei Weltkriegen, besonders aber mit Auschwitz und dem Holocaust. Es gibt eben unsägliches, durch und durch unverständliches Leid. Man kann es im Grunde auch nicht mehr verstehen, denn jedes Verstehen hat immer auch etwas von Rechtfertigung an sich. Dennoch fragen wir, vielleicht sogar ganz verzweifelt. Diese Fragen darf man nicht unterdrücken oder sie mit spekulativen Antworten beschwichtigen. Schon das Alte Testament hat hier eine radikale Ehrlichkeit. Dort ist z.B. der plötzliche Tod eines jungen Menschen ein Skandal, auf den es keine Antwort gibt. Ja, Ijob schleudert sogar Gott selbst harte Fragen und Anklagen entgegen: „Hast du die Augen eines Sterblichen, siehst du, wie Menschen sehen?“ (10,4) Oder mit Ps 77: „Hat seine Huld für immer ein Ende, ist seine Verheißung aufgehoben für alle Zeiten? Hat Gott seine Gnade vergessen, im Zorn sein Erbarmen verschlossen?“ (77, 9 f) Schließlich wird die Klage um den Verlust gerade zur Anklage Gottes selbst. Der Fromme, der sich auf Gott verlässt und ihm vertraut, rechtet mit ihm. Die Literatur und die ganze Kunst haben sich dies über Jahrhunderte zu Eigen gemacht, besonders wenn es um das Leid und Leiden von unschuldigen Kindern geht. Viele sind gewiss bis zum heutigen Tag darum am Glauben gescheitert. Jedenfalls liegt hier eine tiefgreifende Anfechtung und Gefährdung des Glaubens. Die Frage nach der Rechtfertigung Gottes gegenüber dem Übel in der Welt erscheint in der Tat wie ein „Fels des Atheismus“ (G. Büchner, Dantons Tod, 3. Akt). Und überall tauchen die Fragen auf, ob bei F.M. Dostojewski, A. Camus oder W. Borchert: Wo warst du, lieber Gott... in Stalingrad, in Auschwitz?

Der christliche Glaube weicht diesem Rätsel des Übels nicht aus. Schließlich finden wir im Verlassenheitsruf Jesu am Kreuz einen Höhepunkt der Unfasslichkeit: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27, 46, Zitat von Ps 22,2, vgl. auch das Gebet im Garten Getsemani: Mt 26, 36 – 46, bes. 39 ff). Ich finde darum auch keine andere Antwort als im Blick auf das Kreuz. Gott selbst ist Mensch geworden und hat bis zum grausamen Tod am Schandpfahl, dem schändlichsten Tod der alten Welt, unser Menschsein geteilt und am eigenen Leib erfahren. Er, der Gerechte schlechthin, hat das größte Unrecht erlitten. Wir glauben jedoch, dass er durch diesen Abstieg in die äußerste Finsternis, indem er das Leid der Welt erfahren und ertragen hat, uns zugleich davon befreit und erlöst hat. Freilich wissen wir, dass auch nach seiner Auferstehung viele Anfechtungen bleiben. Dies erleiden wir spürbar und leibhaftig. Es fällt uns schwer, daran zu glauben, dass Tod und Zerstörung nicht das Letzte sind. Aber „wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt..., wir sind gerettet, doch in der Hoffnung.“ (Röm 8, 22. 24a) Ich weiß, dass dieses grausame Ereignis in Südasien alle diese Worte zu Boden drückt und entlarven kann. Aber dies ist die Größe des Glaubens, dass er auch in einer solchen Situation Widerstand leistet gegen eine letzte Verzweiflung und uns seit alters zu der Aussage in unserem Glaubensbekenntnis führt: Ich glaube an das ewige Leben. Vor diesem Hintergrund hat Paulus, der viel weiß vom Leid und vom Kreuz, den Mut uns beinahe triumphal zuzurufen: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert?“ (Röm 8, 35)

Wir sind tief traurig und stehen dabei Schulter an Schulter mit allen, die den schweren Verlust eines geliebten Menschen zu beklagen haben. Wir wollen Seite an Seite mit ihnen diesen Weg des Leides und des tiefen Schmerzes gehen. Es bleibt vielfältige Hilfe, vor allem durch die Einsatzbereitschaft für die bedrängten Menschen vor Ort, nicht zuletzt vieler Frauen und Männer aus unserem Land in den Hilfsaktionen.Wir denken aber nicht nur an die kurzfristige Hilfe in akuter Not, sondern auch an die Mithilfe bei der nachhaltigen Aufbau- und Entwicklungsarbeit. Auch die kirchlichen Hilfswerke nehmen mit den schon vertrauten Partnern im gemeinsamen Netzwerk an dieser Aufgabe teil. Diese Hilfe ist – abgesehen vom Gebet – die einzige Möglichkeit, der Verzweiflung zu entgehen. Spurlos darf die Sache nicht an uns vorbeigehen. Es ist eine Mahnung, uns durch viele Maßnahmen vor solchem Unheil zu schützen versuchen, von den Frühwarnsystemen bis zu einer besseren Siedlungspolitik für die Armen.

Wir rücken in der Menschheit enger zusammen. Ökonomisch stecken wir mitten in einem großen Globalisierungsprozess. Nun haben wir auch die Chance, dass wir im Sozialen und Humanitären globaler denken und empfinden. Dann wären wir auf dem rechten Weg zu mehr weltweiter Solidarität. Dann könnte man mit dieser Katastrophe einmal eine neue Epoche zu zählen beginnen.

So sind wir mitten im Unheil gemeinsam nicht so hilflos. Die Vorfahren im Glauben haben durch die Zeit der Jahrtausende hindurch gewusst und gespürt, dass wir mitten im Leben vom Tod umfangen sind. Aber selbst in tiefer Trauer möchte ich uns und allen Leidenden weltweit die Erfahrung wünschen, dass die Liebe stärker ist als der Tod.

Sologesang Jocelyn B. Smith: „Where can I go from your spirit?“ (Flügel und Saxophon)


15. 50 Fürbitten
Die fünf Sprecher treten gemeinsam an den Altar und gehen dann einzeln einen Schritt zum Gebet an das Mikrophon.

1. Herr Pfarrer Peter Sachse (Notfallseelsorger)
Gott, hörst du die Eltern, die um ihre Kinder weinen?
Siehst du die Tränen der Verzweiflung? 
Spürst du die Verlassenheit derer, die einen geliebten Menschen verloren haben?
Erzählen dir deine Engel vom Leid der Opfer?
Berichten sie dir von den Schreien in deiner Welt ?
Gott, sei uns Menschen nahe, wenn wir nicht aus noch ein wissen.
Alle singen Kyrie eleison nach EG 178.9 (orthodoxe Liturgie)

2. Frau Lienda Aliwarga - Kulturattachee indonesische Botschaft  
(in englischer Sprache)
Gott, uns ist gesagt worden, 
du seiest Licht im Dunkel,
du seiest Halt im Herzen,
du seiest bei uns, auch wenn wir dich nicht sehen,
du seiest in uns, auch wenn der Zweifel sich wichtig macht
und wir dich nicht mehr kennen.
Gott, stärke unsere Hoffnung, dass wir dich nicht aus den Augen
verlieren trotz allem Kummer. 
Alle singen Kyrie eleison nach EG 178.9 (orthodoxe Liturgie)

3. Bischof Klaiber (ACK)
Gott, in deinem Sohn bist du uns Menschen nahe gekommen

er hat uns gelehrt, füreinander einzustehen

er hat sich den Gebeugten und Geschlagenen zugewandt,

er hat in Kreuz und Tod das Leiden der Menschen geteilt

er ist uns in der Auferstehung von den Toten vorangegangen

Gott, schenke uns den Glauben an das Leben, das du bist.
Alle singen Kyrie eleison nach EG 178.9 (orthodoxe Liturgie)


4. Frau Dina Kabul (Studentin aus Indonesien)
Gott, es liegt so vieles daran, dass wir verantwortungsbewusst handeln,

dass wir weise Wege gehen, ohne Eitelkeit, ohne Angst.

dass wir Wege zum Frieden finden und Straßen der Vernunft,

dass die Hilfe für den nahen und den fernen Nächsten stetig wächst

dass wir in Not und Verzweiflung zusammenstehen,

Gott, entzünde in uns die Liebe, die sich in Einfühlung und Solidarität erweist.
Alle singen Kyrie eleison nach EG 178.9 (orthodoxe Liturgie)


5. Kardinal Sterzinsky
Gott, in diesen Zeiten erwarten die Menschen von deiner Kirche ein Zeugnis deiner Barmherzigkeit,

der du die Gütigen segnest, die Gerechten förderst,

die Tapferen stützt, die Helfenden stärkst

die Angefochtenen nicht verlässt, die Ohnmächtigen tröstest,

die Sterbenden hältst und die Toten in dein Reich aufnimmst

Gott, mache deine Kirche zu einem Werkzeug deines Friedens.
Alle singen Kyrie eleison nach EG 178.9 (orthodoxe Liturgie)

(Die Betenden setzen sich während des Gesanges auf ihre Plätze, Kardinal Lehmann und Bischof Huber treten an den Altar)

Kardinal Lehmann /Bischof Huber:
Gemeinsam beten wir, wie Christus es uns gelehrt hat

Gemeinsames Vater unser

Segen: Kardinal Lehmann/Bischof Huber gemeinsam
 Trinitarische Segensformel

Gemeindelied „O Heiland, reiß die Himmel auf“
Ö-Lied   EG 7, 1. 4 - 6 oder GL 105,1. 4 - 6

Orgelnachspiel/Auszug
(Die Mitwirkenden gehen in gleicher Aufstellung durch den Mittelgang aus dem Kirchraum, also zuerst die Mitwirkenden, dann die Herren Bischof Huber, Kardinal Lehmann und Bischof Klaiber, es folgt direkt der Bundespräsident.)