Weihnachtsbrief an die Christen im Heiligen Land

EKD-Ratsvorsitzender, Bischof Wolfgang Huber

21. Dezember 2004


„ Herbei , o Ihr Gläub`gen, fröhlich triumphieret, o kommet, o kommet nach Bethlehem!
Sehet das Kindlein, uns zum Heil geboren !

Liebe Schwestern und Brüder im Heiligen Land,
liebe Gemeinden in Bethlehem und Jerusalem, in Beit Jala, Beit Sahour und Ramalla und in den anderen Städten und Dörfern in Israel und Palästina,
liebe Schülerinnen und Schüler in den evangelisch-lutherischen Schulen,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Auguste-Victoria-Krankenhaus auf dem Ölberg!

Mit Ihnen gemeinsam feiern wir das Fest der Geburt Christi. Die Lieder, die davon singen, sind fröhlich und ermutigend. Sie erzählen von dem Kind, das in Armut geboren wurde, im Stall und in der Krippe. Sie verschweigen nicht, dass dieses Kind von Anfang an verfolgt war. Und dennoch singen die Engel. Und dennoch stehen die Hirten auf den Feldern von Bethlehem auf und gehen los, weil sie spüren, dass die Welt sich verändert. Wo die Weihnachtsfreude sich ausbreitet, weicht die Angst zurück. Diese Weihnachtsfreude wünschen wir auch Ihnen.

Wir wissen, dass gerade im Heiligen Land viele Christen in großer Sorge sind. Der Bau der Sperranlage beunruhigt uns. Die Evangelische Kirche in Deutschland, die Christen und Gemeinden in unserem Land erkennen das Recht Israels auf Schutz seiner Zivilbevölkerung an. Uns ist berichtet worden, dass nach der Errichtung der Sperranlage die Zahl der Terroranschläge in Israel deutlich zurückgegangen ist. Doch der tatsächliche Verlauf der Sperrmauer schafft zugleich neues Unrecht. Bethlehem ist dafür ein Beispiel.  Dass Israel dort mit dem Bau einer Betonmauer begonnen hat, die den nördlichen Teil der Stadt von den umliegenden Feldern trennt, lässt uns befürchten, dass sich der Charakter der Stadt grundlegend verändern wird. Die Mauer zerstört die Lebensgrundlagen und Beziehungen für unzählige Menschen in Palästina, Christen und Muslime, und verwehrt ihnen den Zugang zu Schulen, Krankenhäusern und Arbeitsplätzen. Nicht nur in Bethlehem haben die Militärbehörden die Erlaubnis erhalten, mit dem Bau zu beginnen, obwohl Klagen vor dem Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden sind. Selbst wenn der Zugang für Touristen damit erleichtert würde, sehen wir mit Sorge, dass viele palästinensische Bauern den Zugang zu ihren Feldern verlieren und immer mehr christliche Familien das Land verlassen, weil ihnen die Lebensgrundlage fehlt. Wir machen uns auch große Sorgen um die Situation der Christen in Jerusalem, die immer deutlicher von Kirchen, Gemeinden und Projekten in den besetzten Gebieten abgeschnitten sind. Was an der Wiege der Christenheit geschieht, geht die ganze Christenheit an.

Zu Weihnachten feiern wir unsere Hoffnung auf Gottes neue Welt, in der Frieden und Gerechtigkeit wohnen. Wir feiern Jesus Christus, in dem diese Hoffnung sichtbar geworden ist. Es ist deshalb Christenpflicht, für Recht und Rechtsstaatlichkeit einzutreten, damit  Hass und Fanatismus nicht noch mehr Raum gewinnen und der Weg zu einem gerechten Frieden offen bleibt. Die Evangelische Kirche in Deutschland erkennt deshalb die Bemühungen des Internationalen Gerichtshofes, mit dem Rechtsgutachten zum Bau der Sperranlage zur Konfliktklärung beizutragen, ausdrücklich an und sieht auch in dem Urteil des israelischen Obersten Gerichtshofes, das den Verlauf der Mauer an einer Stelle für unrechtmäßig erklärt hat, einen positiven Ansatz. Wir wollen Bemühungen von Gemeinden und Institutionen wie von einzelnen Christen in Israel und Palästina unterstützen, den Verlauf der Trennanlage im Sinne des Gutachtens und des Urteils mit rechtsstaatlichen Verfahren zu korrigieren. Deshalb unterstützen wir auch finanziell Menschenrechtsgruppen in Israel und Palästina, die Ihnen und allen Betroffenen dabei helfen können, Ihre Rechte zu wahren. Zugleich treten wir mit aller Entschiedenheit für politische Initiativen ein, die den Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten unterstützen. Der Weg zum Frieden steht wieder offen; wie damals in Bethlehem ist es entscheidend, dass Menschen die Angst überwinden und aufstehen, um die nächsten Schritte zu tun.

Wir unterstützen alle Anstrengungen, weiterhin Begegnungen zwischen Schülerinnen und Schülern, Studierenden und Gemeinden zu ermöglichen. Aus eigener Erfahrung wissen wir gerade in Deutschland, wie wichtig Begegnung und Dialog sind, um auf Dauer auf eine Überwindung von Trennung und auf Versöhnung hinzuarbeiten.

Unser besonderer Respekt gilt den Mitarbeitenden im Auguste-Victoria-Krankenhaus auf dem Ölberg in Ostjerusalem, die einen eigenen Bus- und Sicherheitsdienst eingerichtet haben, um Patienten aus der Westbank ins Krankenhaus zu bringen. Dies kostet viel zusätzliches Geld. Deshalb empfehlen wir dieses Projekt unseren Gemeinden für eine Weihnachtsspende.
 
Für uns Christen gibt es auch in solch einer schwierigen Situation lebendige Hoffnung in Jesus Christus und in der Gemeinschaft der Menschen, die ihm nachfolgen und mit all ihren Kräften für Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung eintreten. Viele von Ihnen gehören dazu. Mit Ihren Schulen und diakonischen Einrichtungen, mit Ihren Pilgerherbergen und Versöhnungsprojekten, mit Geduld und Durchhaltewillen sind Sie, liebe Schwestern und Brüder, ein Hoffnungszeichen für unsere Gemeinden. Darum beten wir für Sie um Durchhaltekraft und Mut. Wir bitten Sie und alle, die sich nach Frieden und Gerechtigkeit sehnen,  alles zu tun, um die demokratischen Kräfte im Lande zu stärken. Wir beten für ein gutes Gelingen der Kommunalwahlen am  23. Dezember und der Wahlen im Januar. Wir hoffen mit Ihnen, dass sich Türen öffnen, damit Israel und Palästina miteinander Zukunft haben.

Zu Weihnachten 2004 wünschen wir uns und Ihnen, dass bald wieder  Christen aus aller Welt ins Heilige Land kommen,  nach Bethlehem, an den Ort der Geburt Jesu Christi, und an die Stätten, an denen unser Herr Jesus wirkte. Wir werden uns mit unseren Kräften dafür einsetzen, dass das Heilige Land die Heimat vieler Christen bleibt. Wir wollen dazu beitragen, dass die heiligen Stätten wieder Orte der Versöhnung zwischen den Völkern und Religionen werden mögen..

Der weihnachtliche Segen, den die Engel den Hirten auf dem Hirtenfeld von Beit Sahour verkündete, sei mit Ihnen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!“
Bischof Dr. Wolfgang Huber
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

Dezember 2004