Nicht der gleiche Gott

Der Vorsitzende der EKD, Wolfgang Huber, definiert die Grenzen des Dialogs mit dem Islam härter und enger denn je

22. November 2004


FOCUS: Was zeichnet den „kritischen Dialog“ mit dem Islam aus, den Sie fordern? Reden tun Sie schon länger miteinander.

Huber: Erst wenn man auf die eigene Entwicklung einen selbstkritischen Blick werfen kann, ist ein fruchtbarer Dialog möglich. Alle Religionen müssen ihre Fähigkeit stärken, mit Schattenseiten in ihrer Geschichte und Aggressivität in der Gegenwart kritisch umzugehen. Ich habe aber den Eindruck, dass diese Fähigkeit bei islamischen Organisationen bisher nicht sehr ausgeprägt war. Der Aufruf von Muslimen, in Köln gegen Gewalt und für ein friedliches Zusammenleben zu demonstrieren, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.

FOCUS: In der Berliner Mevlana-Moschee hat ein in der Gemeinde geschätzter Imam kürzlich gegen Deutsche gehetzt. Erst nachdem der Inhalt der türkischen Predigt auf deutsch bekannt wurde, hat er sich entschuldigt.

Huber: Man muss sich ein nüchternes Bild machen, in welcher Bandbreite es den Islam in Deutschland gibt. Das verbietet die Verharmlosung solcher Äußerungen. Wenn richtig übersetzt wurde, hat er gesagt: Im Jenseits kann der Deutsche wegen seiner Ungläubigkeit nur das Höllenfeuer erwarten. Diese Deutschen, diese Atheisten, diese Europäer rasieren sich nicht unter den Armen, sie verbreiten üblen Geruch. Das ist jenseits dessen, was wir akzeptieren dürfen.

Mich beunruhigt, dass die Leute jetzt zu einem von zwei Extremen tendieren. Entweder hängen sie noch einer idealisierenden Multi-Kulti-Stimmung nach, obwohl offenkundig geworden ist, dass interreligiöse Schummelei nicht mehr funktioniert, oder sie dämonisieren den Islam und verweigern sich jeder Differenzierung. Keiner dieser Wege führt weiter.

FOCUS: Dämonisiert werden meist Dinge, von denen man keine genaue Kenntnis hat. Wäre es nicht wichtig, dass in den Moscheen auf Deutsch gepredigt wird?

Huber: Ich glaube nicht, dass die Predigtsprache durch staatliches Gesetz festgelegt werden kann. Aber Moscheegemeinden sollten von sich aus Deutsch als Predigtsprache fördern und praktizieren. Auch im Bereich des Freitagsgebets sollte alles vermieden werden, was die Entstehung von Separatgesellschaften fördert. Es wäre im Interesse der Moscheegemeinden, wenn sie sagen würden, wir haben nichts zu verstecken, wir können, was wir predigen, öffentlich vertreten. Religion ist ein öffentliches Phänomen, der Satz, Religion sei Privatsache, führt in die Irre.

FOCUS: Die türkische Gruppe Milli Görüs stellt bereits einen deutschen Text der Freitagspredigt ins Internet. Stellen Sie sich eine Art freiwillige Selbstkontrolle vor?

Huber: Das kann man so nennen. Freiwillige Selbstkritik ist keine Einschränkung, sondern Bedingung der religiösen Freiheit.

FOCUS: In Berlin organisiert genau die Organisation, die hinter der kritisierten Mevlana-Moschee steht, den Islam-Unterricht.

Huber: Der Unterricht der Islamischen Föderation in Berlin wird erteilt von Lehrkräften, die zeitlich befristet aus der Türkei nach Deutschland kommen. Die Frage nach der fachlichen Qualifikation ist unbeantwortbar. Der Unterricht wird in aller Regel in türkischer Sprache erteilt, genügt also nicht dem Anspruch von Transparenz.

FOCUS: Muss das Land Berlin der Islamischen Föderation Klassenzimmer, Licht und Heizung zur Verfügung stellen, weil die Verfassung es so will?

Huber: Wir müssten nicht die Verfassung, aber das Berliner Schulgesetz ändern, um Abhilfe zu schaffen – wie die Einrichtung einer Gruppe von gleichberechtigten, staatlich verantworteten und damit der Schulaufsicht unterliegenden Fächern im Bereich von Religion und Ethik – inklusive Islam-Unterricht.

FOCUS: Warum behauptet Schulsenator Böger, er könne nichts am unkontrollierten Islamunterricht ändern?

Huber: Weil sich die Politiker nicht auf ein Modell einigen können. Es fehlt schlicht an der politischen Gestaltungskraft.

FOCUS: Sie reicht aber, um wegen des Kopftuchstreits religiöse Symbole bei Lehrern zu verbieten.

Huber: In der Kopftuchfrage geht es darum, dass Mitarbeiter mit viel Publikumsverkehr, erst recht Pädagogen, sich zurückhalten sollen, wenn ein Kleidungsstück fremdartig und von daher herausfordernd wirken kann.

Das Unglück der geplanten Berliner Gesetzgebung besteht darin, dass man dieses Problem in einer maßlosen Weise zu regeln versucht.

FOCUS: Was heißt maßlos?

Huber: Es war vollkommen unnötig, wegen des Kopftuchs auch Symbole zu verdrängen, bis zu einem solchen kleinen Kreuz (zeigt auf ein silbernes Kreuz, zwei Zentimeter groß, das er am Revers trägt), den Namenszug Allahs oder den Davidstern. In Berlin sollte man nicht zu selbstsicher sagen, dieser Weg sei verfassungsrechtlich unanfechtbar.

FOCUS: Es ist für das Zusammenleben der Religionen nicht von Vorteil, wenn der Eindruck entsteht, der Islam verdränge christliche und jüdische Symbole.

Huber: Richtig. Aber noch mehr: Es ist auch nicht günstig für unser Land, wenn die Auseinandersetzung mit dem Islam als Hebel benutzt wird, um die Religionsfreiheit einzuschränken.

FOCUS: Es gibt Stellen im Koran und in der islamischen Überlieferung, mit der Schläge gegenüber Frauen gerechtfertigt werden.

Huber: Hier ist ein Veränderungsprozeß im Islam dringend notwendig, der an die Substanz dieser religiösen Begründungen geht. Wir müssen unseren türkischen Mitbürgern klar machen, dass für deren Familien kein anderes Recht gilt. Ich warne aber vor Überheblichkeit; Gewalt in Familien gibt es leider auch bei uns.

FOCUS: Könnten Kirchen zu Moscheen umgewandelt werden?

Huber: Wird eine Kirche zur Moschee, erwecken wir den Anschein, der Unterschied zwischen Christentum und Islam sei geringfügig. Das würde den Eindruck nahe legen, es sei derselbe Gott, zu dem Christen wie Muslime beten. Christen bekennen sich zu dem Gott, der sich in Jesus Christus offenbart, während der Islam die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus ablehnt. Die Umwandlung einer Kirche in eine Moschee verdunkelt eher diesen Unterschied und wäre in meinen Augen nicht zu begrüßen.

FOCUS: Beten Muslime und Christen nicht zum selben Gott?

Huber: Ob Gott derselbe Gott ist, muss man ihm selber überlassen. Als Menschen können wir nur über das Gottesbekenntnis urteilen. Wir haben als Christen keinen Grund zu sagen, wir würden uns zum gleichen Gott wie die Muslime bekennen.

FOCUS: Die Zahl der Muslime hat sich seit der Volkszählung 1987 auf 3,5 Millionen verdoppelt, die Zahl der evangelischen Christen ist in den alten Ländern seit dem Höchststand 1970 um 20 Prozent auf 23 Millionen gefallen. Was sagen Sie Christen, die beunruhigt sind?

Huber: Das Gewicht der eigenen Tradition gering zu reden, dazu gibt es keinen Anlass. Es ist eher an der Zeit, die eigene Verwurzelung im Glauben zu klären und selbstbewusst öffentlich zu vertreten. Ein Islam, der im Grunde mit dem Anspruch ausgestattet ist, eines Tages diese Gesellschaft zu übernehmen, ist nicht der richtige Partner für eine gemeinsame Entwicklung.

FOCUS: Ein Teil der muslimischen Eltern verlangt, dass ihre Kinder vom Sport- oder Sexualkundeunterricht, von Klassenfahrten befreit werden – mit dem Verweis auf Religionsfreiheit von deutschen Gerichten unterstützt.

Huber: Die Tatsache, dass deutsche Gerichte bisher gesagt haben, was Religion sei, definiere die Glaubensgemeinschaft selber und nicht das Gericht, ist ein hohes Gut. Es lebt davon, dass keine Religion davon willkürlichen Gebrauch macht. Das müssen wir Muslimen deutlich machen. Wenn Muslime ihre Interessen weiter so durch die Instanzen vorantreiben, werden sie die Gerichte zwingen, eigene und engere Vorstellungen zu entwickeln, was sie zur Religion rechnen und was nicht. Das wäre eine große Niederlage für unsere Rechtskultur.

Interview: Hartmut Kistenfeger

Quelle: FOCUS Nr. 48 vom 22. November 2004